Innovation statt Unterversorgung
KÖLNER STADTANZEIGER RHEIN BERG
VON INGRID BÄUMER
Biesfeld – „Wenn wir hier keine Nahversorgung bekommen, wird Biesfeld weiter das Schlafdorf in Kürten bleiben“: Werner Lauktien schlägt Alarm. Der Berater ist spezialisiert auf die Erstellung von Betriebskonzepten für namhafte Unternehmen. Und er hat eine Vision: innovative Nahversorgung in seinem Dorf. Mit der Leitbildgruppe kämpft er für eine neue Ortsmitte, die den Anwohnern einen Mix aus Nahversorgung und Dienstleistungen bietet.
Früher konnte sich Biesfeld eines regen Geschäftslebens rühmen: Heimatforscher Theo Stockberg listet kurz vor dem Zweiten Weltkrieg allein vier Lebensmittelgeschäfte auf. Außerdem „Zehn Handwerksbetriebe, zwei Bäckereien, eine Metzgerei, vier sonstige Handlungen, drei Gaststätten, zwei Speditionen.“ Bäckereien und Metzger sind geblieben, hinzugekommen zwei Friseure und eine Tankstelle mit Getränkemarkt – aber der Bedarf an Dingen des täglichen Lebens kann in dem 5600-Einwohner-Dorf nicht gedeckt werden: Schon 1989 schloss der letzte „Tante-Emma-Laden“ seine Türe. Seither müssen die Biesfelder zum Erwerb von Käse, Zeitschriften oder frischem Obst und Gemüse beträchtliche Strecken bewältigen: 1,8 Kilometer sind es von der Ortsmitte bis zum Supermarkt in Eichhof, 2,4 Kilometer bis Dürscheid.
Die Entwicklung in Biesfeld ist symptomatisch für den ländlichen Raum: In den letzten zwei Jahrzehnten fielen die kleinen Läden dem Konzentrationsprozess im Lebensmittelhandel zum Opfer. Daran waren auch die Verbraucher nicht ganz unschuldig: Sie fuhren lieber auf dem Weg zur Arbeit zum städtischen Supermarkt, als die „Apothekerpreise“ und die sporadischen Öffnungszeiten im Dorf hinzunehmen. Preis der Bequemlichkeit: das Sterben der Tante-Emma-Läden. Mit ihnen starb oft auch eine emotionale Dorfmitte, ein Treffpunkt zum Austausch von Tratsch und Neuigkeiten.
Eine aktuelle Studie stellt die Faustregel auf: Man spricht von Unterversorgung, wenn das Lebensmittelgeschäft weiter als 700 Meter vom Wohnort entfernt ist – das entspricht etwa zehn Minuten Fußweg.
„Bis zum Jahr 2020 wird der Anteil der über 50-jährigen Biesfelder um 34 Prozent zunehmen“, zitiert Lauktien eine Prognose des Rheinisch-Bergischen Kreises. „Und was macht ein alter Mensch mit kleiner Rente? Der kann sich, zumal bei den steigenden Spritpreisen, kein Auto leisten. Die Strecke zu Fuß schafft er auch nicht mehr.“
Eine Bedarfsstudie der Gemeinde Kürten hat im letzten Jahr ergeben, dass die Kaufkraft für einen weiteren Lebensmittelmarkt nicht ausreicht. Doch das hält Lauktien für ein Gerücht. „Biesfeld hat genauso viele Einwohner wie das Dorf Kürten, sogar fast doppelt so viele wie Dürscheid – und beide haben einen Supermarkt“, argumentiert er. Im Vergleich zu Bechen, wo neben dem großen Supermarkt noch ein Aldi entstehen soll, hat Biesfeld sogar 1500 Bürger mehr. Lauktien lässt nicht locker: „Fahrende Händler wie der Eifeler Frischedienst nehmen 161 Kilometer Anfahrt auf sich – das sind pro Weg zwei Stunden Fahrtzeit. Für mich heißt das: Hier müsste sich auch die Miete für einen Markt lohnen.“
Wie soll es weitergehen? Lauktien hat seine Vision schon in den Leitbildprozess eingebracht: Ihm schwebt ein kommunales Zentrum nach dem Jülicher „Dorv“-Projekt vor. Es beruht auf drei Säulen, die räumlich möglichst nah beieinander liegen sollen: Erstens Grundversorgung (Verbrauchsmaterialien, Reinigungsmittel, Körperhygiene, Lebensmittel, Brot, Fleisch, Gemüse und Obst). Zweitens Dienstleistungen (von Anbietern wie der Sparkasse, der Post, dem Kreis, der Stadtverwaltung, den Stadtwerken, den Verkehrsbetrieben, Krankenkassen, Reisebüros oder Zeitungsverlagen). Und drittens ein soziales Leistungsangebot, das von der Vermittlung für Jobs im privaten oder öffentlichen Dienstleistungssektor über ein Freiwilligenzentrum, eine Sozialservicestation, Altenpflege, Hol- und Bringdienste bis hin zum Einkaufsservice für Senioren und Pflegebedürftige reicht. Alles speziell auf Biesfeld ausgerichtet, versteht sich. Schöne Träume – lassen sie sich auch verwirklichen? Lauktien optimistisch: „Man muss nur alle Leute unter einen Hut bringen.“